Die Bilder sind für die Betrachter da

Die Bilder von Wolfram Weiße sind für die Betrachter da. Er malt sie, damit sie angeschaut werden. Dinge, die man überall in der äußeren Wirklichkeit sehen kann, interessieren ihn eher nicht. Er macht den Vorgang der Bildwerdung zum eigentlich wichtigsten Element.

Er beginnt jedes Bild auf einem farbigen Grund, der durch verschiedene Verfahren strukturiert ist; Materialien wie Schwämme. Knitterpapier, Lappen, Strukturpappen und mehr werden abgeklatscht, es wird viel gespritzt und gestempelt. Aus diesen evokatorischen Gründen entwicklt er das Bild. In aller Regel weiß er nicht wie das am Ende aussehen wird. Er findet Formen und deren Zusammenhänge, verändert sie, verwirft sie. Wandlungen, Verschiebungen und Metamorphosen bestimmen den Wer- degang der fremden Bildwelten. Dinge finden sich, die sich so noch nicht begegnet sind, Räume öffnen und schließen sich und Farben blühen oft fremd auf. Räume schichten sich übereinander und durchdringen sich gegenseitig. Oft entstehen regel-recht Fenster, die in neue Räume führen.

In den Beziehungen der Dinge ereignen sich Geschichten, die von der Eigenart und Fremdheit der Darstellungen leben.

Auf vielen Bildern sieht man die scharfe Linie des Horizonts als Grenze zwischen Himmel und Erde, hinter die man nicht schauen kann, es sei denn, man wagt die Reise ins Unbekannte. Oft gibt es einen kleinen Dampfer auf der Horizontlinie.

Weißes Arbeiten gleichen einer nach innen gerich-teten Recherche, einer detektivischen

Untersuchung, um die Dinge zu entwickeln und sie in ihrem Wesen und in ihren Zusammenhängen zu zeigen.

Die Bilder steigen aus raum-zeitlichen Erinnerungen auf. Sie zeigen Dinge und Räume, die wie Traumbilder in ihren Bedeutungen schillern. Sie sind mehrdeutig. Man kann sich ihnen durch Assoziation nähern. Die Bildtitel können dabei Brücken bilden.

Weiße greift vielschichtige Kontexte auf, verkoppelt sie miteinander neu und bringt sie ins Fließen. Hier nimmt das Ästhetische seinen Anfang, hier führen die Bilder aus der Natur in die Kultur, vom Realen ins Symbolische, vom Passiven ins Aktive. Auge in Auge mit den Bildern steht der logisch denkende Mensch mitunter da wie am Beginn aller Dinge, staunend mit dem Wissen ums letztendliche Nichtwissen. Genau hier beginnt in der Kunst das Sehen, das Fragen und das Entdecken.

Claudia Köstler, Geretsrieder Merkur

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